LOKALMIX

Der grüne Rausch – eine Frage der Perspektive

lw; 20.04.2024, 09:00 Uhr
Symbolfoto: 7raysmarketing auf Pixabay
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Der grüne Rausch – eine Frage der Perspektive

lw; 20.04.2024, 09:00 Uhr
Oberberg – Anfang des Monats ist das Cannabisgesetz in Kraft getreten – OA hat bei Vereinen, Institutionen und Behörden nachgefragt, was sich für sie durch die Teillegalisierung nun ändert.

Von Lars Weber

 

Ein Rudelgucken einer Sitzung des Bundesrats hat es vorher vermutlich selten gegeben. Am 22. März wird das kollektive Schauen des Livestreams aus Berlin, das im Waldbröler Headshop auf der Kaiserstraße stattfand, wohl nicht das einzige gewesen sein. Dort waren es vor allem Mitglieder des ersten Cannabis Socialclubs (CSC) im Oberbergischen Kreis, die gespannt mitverfolgten, wie die Politik endgültig grünes Licht gab für das Cannabisgesetz. Ein Tag, den der Vorsitzende Malik Diestelhorst, der auch im Headshop arbeitet, noch gar nicht für möglich gehalten hatte, als er anfing, sich mit dem Thema Cannabis und Socialclubs zu beschäftigen. „Cannabis  hat mein Leben zum Guten verändert“, sagt er selbst, nicht ohne zu betonen: „Aber es ist und bleibt eine Droge, auch nach der Legalisierung“.

 

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Um die Aussage zu verstehen, muss man die Lebensgeschichte des 24-Jährigen kennen. Als er sieben Jahre alt war, wurde bei ihm ADHS diagnostiziert. Behandelt wurde er mit Ritalin. Die Tabletten hätten bei ihm viele Nebenwirkungen gehabt. „Ich habe mich gefühlt wie in einem Tunnel.“ Als Jugendlicher experimentierte er dann mit Cannabis. Damit sei es ihm laut eigener Aussage gelungen, seine Symptome besser in den Griff zu bekommen. Seit drei Jahren bekommt er nun medizinisches Cannabis verschrieben (Anm.d.Red.: Unter anderem der Verein ADHS Deutschland sieht die Therapie mit Cannabis kritisch). Er griff aber auch schon davor nicht blind zu der Droge, sondern informierte sich über die Hintergründe, Wirkung und Folgen. „Selbstreflexion ist beim Konsum sehr wichtig.“

 

Diese Informationen weiterzugeben, aufzuklären und Möglichkeiten zu geben, offen und ohne Tabus über Cannabis und auch die negativen Auswirkungen sprechen zu können, dies sei einer der wichtigsten Grundpfeiler des Cannabis Socialclubs Oberbergischer Kreis. Durch seinen Konsum und der Suche nach sauberem Cannabis kam Diestelhorst früh mit Socialclubs in den Niederlanden und Spanien in Berührung, die klare Konzepte verfolgten. „Ich wollte weg vom Schwarzmarkt, wo man nie weiß, ob das Gras nicht aus verschimmelten Hallen kommt oder unerlaubter Dünger verwendet wurde.“

 

[Foto: Lars Weber --- Malik Diestelhorst ist Vorsitzender des Cannabis Socialclubs Oberbergischer Kreis.]

 

Die Idee zum eigenen CSC kam ihm mit ein paar Kumpels auf der Couch. „Das war Anfang 2020.“ Ein Jahr später gründen sie den Club, zunächst inoffiziell, im April 2022 dann offiziell mit Eintrag ins Vereinsregister. Dass der Club tatsächlich mal eine Anbauvereinigung werden könnte, die legal Cannabispflanzen anbauen darf, sei damals noch eine kühne Vorstellung gewesen, obwohl das Thema endgültig in der Politik angekommen war.

 

Nach der Bundesratsentscheidung und mit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April nimmt der Verein nun langsam Fahrt auf, um im Sommer mit dem Anbau beginnen zu können. 50 Mitglieder habe der Verein. „Das ist krass“, freut sich Diestelhorst über den Zuspruch, den er aber auch als Verpflichtung sieht. Schließlich kostet die Mitgliedschaft 25 Euro monatlich und einmalig 50 Euro bei der Aufnahme. Vor allem die Miete für ein Vereinsheim und die Anbaumöglichkeit sollen damit gestemmt werden, schließlich arbeitet der Verein nicht-gewerblich und wird das Gras nicht gewinnbringend an die Mitglieder ausgeben, sondern zum Selbstkostenpreis.

 

Die Suche nach geeigneten Immobilien beschäftigt den Verein momentan besonders. Seit Anfang April spüre der Vorsitzende in Gesprächen mit möglichen Vermietern, dass sie offener für das Projekt geworden sind. Fündig geworden sei der CSC derweil aber noch nicht. Sie würden sich über Interessenten aber freuen, der Verein ist im Internet vertreten. Bis Juni hofft der 24-Jährige, einen Platz gefunden zu haben. Schließlich dauert es auch drei Monate, bis die erste Ernte eingefahren werden kann. Und vorher müssen die Vereinsräume schließlich hergerichtet und die Plantage sicher gemacht werden.

 

Bei der Suche nach Räumen würde sich Diestelhorst nicht beschweren, wenn es ähnlich gut funktionieren würde wie beim Präventionsprogramm, das keine hohle Phrase sein soll. Dabei habe sich eine Suchtberaterin direkt beim Verein gemeldet und ihre Dienste angeboten. Geplant sind Beratungen in den Vereinsräumen, explizit sollen auch Wege aus der Sucht aufgezeigt werden. Da dort aber nur Personen ab 18 Jahren Zutritt haben, möchte Diestelhorst am liebsten auch eine Telefon-Hotline anbieten, bei der sich Jugendliche, Eltern und andere anonym informieren können. „Ich hatte damals viele Fragen, wusste aber nicht, wem ich sie stellen sollte.“  

 

So sehr er sich über das neue Gesetz freut, so sehr sieht er weiteren Handlungsbedarf. Beispielsweise müsse seiner Meinung nach früher oder später ein Verkauf auch im speziellen Fachhandel möglich sein, verbunden mit einer Beratung. Nur so ließe sich das Ziel der Bundesregierung, den Schwarzmarkt effektiv zurückzudrängen, erreichen. Nicht jeder werde sich die Pflanzen zu Hause halten. „Und Vereinsarbeit ist auch nicht für jeden.“ Generell vertraut er da den Experten, die das Gesetz evaluieren werden.

 

So ist Cannabis-Konsum medizinisch einzuordnen

 

Wenig überraschend: Wer Cannabis regelmäßig konsumiert, muss mit Folgen für die eigene Gesundheit rechnen. Cannabiskonsum kann abhängig von der Dosis Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, den Magen-Darm-Trakt, das Immunsystem, das neuromuskuläre System, das Augensystem und das Fortpflanzungssystem haben, berichtet Dr. Ralph Krolewski, Vorsitzender des Hausärzteverbands Oberberg und Organisator des Arbeitskreises Drogenhilfe im Kreis. „Die größte negative Auswirkung des Cannabisrauchens auf die körperliche Gesundheit betrifft jedoch das Atmungssystem.“ So könnten sich beispielsweise schnell chronische Lungenerkrankungen entwickeln. Psychische Störungen können sich nach einem Konsum über einen Zeitraum von vier bis sechs Stunden einstellen. Aktuelle Ergebnisse belegen cannabisbedingte Störungen bei rund 50 Prozent der Konsumenten, während andere solche nicht aufweisen, ihrem Beruf und gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgehen.

 

[Symbolfoto: Sergei Tokmakov, Esq. https://Terms.Law auf Pixabay]

 

„Eine Cannabisvergiftung kann die Koordination, das Gedächtnis und die Reaktionszeit beeinträchtigen und zu Verwirrung, Übelkeit, Erbrechen, verzerrter Wahrnehmung, Halluzinationen, Unruhe und Angstzuständen führen.“ Der kausale Effekt von Cannabis auf Psychosen sei dagegen umstritten, kann aber deren Entwicklungen fördern. Krolewski sagt klar: „Es ist besser, kein Cannabis zu konsumieren. Präventionskampagnen seien erforderlich. "Kinder und junge Menschen müssen geschützt werden, wie es seit alters her in allen Gesellschaften mit Cannabis-Konsum geregelt wurde und wird."

 

In Deutschland konsumierten momentan über alle Altersgruppen hinweg 5,8 Prozent der Bevölkerung illegal Cannabis, bei Jugendlichen liege der Anteil bei 15 Prozent. Jetzt, wo der Konsum teillegalisiert wird, ließen Zahlen aus den Staaten in den USA vermuten, wo Cannabis voll legalisiert wurde, dass der Anteil steigen wird. Dort konsumierten nun 20 Prozent der Bevölkerung Cannabis.

 

Zum Vergleich: Der Alkoholkonsum in Deutschland liege bei 60 Prozent der erwachsenen Bevölkerung im schädlichen Bereich. „Der Anteil von Alkoholmissbrauch bei (Verkehrs-) Unfällen, Körperverletzungen und Gewalthandlungen ist groß.“ Nach Risikobewertungen zum Schadensausmaß von Drogen (Unfälle, Gewalthandlungen, körperliche und psychische Schäden) ist Alkohol die gefährlichste Droge, gefolgt von Heroin, Crack, Metamphetaminen, Kokain, Amphetaminen und an siebter Stelle Cannabis. Die Eigenschädigung durch Alkohol ist mehr als dreimal so hoch wie bei Cannabis und die Fremdschädigungen durch Gewalthandlungen mehr als fünfmal so hoch."

 

So wird jetzt kontrolliert

 

Das Gesetz gilt zwar seit Anfang April, die Regelungen für Polizei und Ordnungsämter sind aber noch nicht festgezurrt. Die oberbergische Polizei verweist bei einer Anfrage direkt ans NRW-Innenministerium. Siegfried Frank, Sprecher der Stadt Gummersbach, wird etwas ausführlicher. „Wir warten auf klare Verwaltungsvorschriften.“ Die Kollegen des Ordnungsamts benötigten deutliche Weisungen, wann wie was zu ahnden ist.

 

Da gelte es manche Fragen zu klären. Was beispielsweise, wenn nach 20 Uhr in einer Fußgängerzone öffentlich gekifft wird, was erlaubt ist, dann aber eine Gruppe minderjähriger Jugendlicher in der Nähe ist. Denn laut Gesetz ist der Konsum in Gegenwart von Minderjährigen verboten. Außerdem schwierig momentan: Abgesehen von der Beschaffung per Rezept gibt es in noch keine legalen Wege, an Gras zu kommen. Eine Vielzahl der Konsumenten wird also weiter von Dealern versorgt werden, also illegal. All diese Fallstricke gelte es zu klären. Trotzdem: Die Mitarbeiter des Gummersbacher Ordnungsamts ahndeten momentan „erkennbare Verstöße“ und nehmen sie auf.

 

So steht die Suchtberatung der Caritas zum Thema

 

„Wir nehmen täglich in unserer Arbeit Personen in den Blick, die durch Suchtmittel körperlich, psychisch und sozial beeinträchtigt beziehungsweise geschädigt werden“, so Markus Würtz, Koordinator der Suchthilfe. Hier sei Cannabis keine Ausnahme, sondern vergleichbar mit anderen Suchtmitteln, die teilweise, wie zum Beispiel Alkohol, auch öffentlich erworben und konsumiert werden können. „Cannabis ist genauso wie Alkohol nicht harmlos.“ Vor allem bei noch nicht ausgewachsenen Gehirnen - ausgewachsen ist ein menschliches Gehirn erst nach rund 24 Jahren - gibt es ein erhöhtes Risiko für Hirnschädigungen, die irreversibel seien. Auch psychische Störungen können durch Konsum ausgelöst werden.

„Grundsätzlich ist jedoch zu begrüßen, dass nun erwachsene Menschen legal einen Joint rauchen dürfen. Als Suchthilfe ist es uns jedoch wichtig, Risiken, die mit Cannabis-Konsum einhergehen, zu minimieren, indem man eine Angebotsstruktur schafft, die weniger risikoreichen Konsum ermöglicht.“ Hier gehe es zum einen um Aufklärung und Prävention. Darüber hinaus gehe es darum, wie man bei auffälligen Erstkonsumentinnen und Konsumenten darauf hinwirken kann, dass keine Abhängigkeitserkrankung entstehe. „Hier gibt es gute Angebote, die eine Selbstkontrolle trainieren.“ Auch die Behandlung von Personen mit problematischem Konsummuster beziehungsweise einer Abhängigkeit werde bei THC zunehmen.

 

Prävention werde im Gesetz oft genannt. „Jedoch müssen hier auch entsprechend Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit die Prävention auch wirksam angeboten werden kann“, so Würtz weiter. „Doch anstatt die Prävention auszubauen, wurde der Bundesetat hierfür gekürzt“, kritisiert er.

 

In der Prävention erlebe man gerade negative Folgen durch die gesetzliche Veränderung: „Jugendliche nehmen die Gefahren nicht mehr so ernst, da es ‚ja nun erlaubt sei‘.“ Es existiert die Tendenz zur Verharmlosung. „Doch gerade für Jugendliche trifft dies nicht zu! Hier muss nun eine präventive Aufklärung geschehen, um die Gefahren zu verdeutlichen.“

 

Sämtliche Angebote der Caritas zum Thema Suchtberatung und -prävention finden sich hier.

 

So beeinflusst das Gesetz die Arbeit der Justiz

 

Viel zu tun gibt es am Amtsgericht Waldbröl, seitdem das neue Gesetz gilt, wie Direktor Andreas Dubberke berichtet. Dabei ginge es ausschließlich um die Auswirkungen der Amnestieregelung. Im Jugendstrafrecht habe eine größere Anzahl von Verfahren daraufhin überprüft werden müssen, ob die Vollstreckung zu stoppen ist.

 

[Foto: Lars Weber.]

 

Die Überprüfung sei schon abgeschlossen, ebenso wie die zu treffenden Maßnahmen. Noch einige Wochen in Anspruch nehmen wird die Überprüfung der Gesamtstrafen im Erwachsenenstrafrecht (beziehungsweise sogenannten Einheitssanktionen im Jugendstrafrecht). „Vereinfacht ausgedrückt geht es um Fälle, in denen Angeklagte nicht nur wegen einer nach dem neuen Gesetz straflosen Tat verurteilt worden sind, sondern auch wegen anderer Taten. In diesen Fällen wird eine 'Gesamtsanktion' gebildet, die nunmehr neu festzusetzen und zu bilden ist“, so Dubberke. Die Abarbeitung der Amnestiefälle belaste das Gericht „spürbar“.

 

Auf lange Sicht sieht der Direktor zwar eine entlastende Wirkung des Gesetzes. Die Entlastung werde in Waldbröl aber „eher gering“ ausfallen, weil die erfassten Fälle in der Vergangenheit häufig bereits im Vorfeld oder bei Gericht eingestellt worden seien. Letztlich könne das neue Gesetz aber auch noch Abgrenzungsprobleme mit sich bringen, zum Beispiel im Hinblick auf die Orte, an denen der Besitz (doch) strafbar ist. „Was diese Wirkungen des Gesetzes betrifft, bleibt die weitere Entwicklung aber abzuwarten.“

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